Lange Lieferzeiten, Warenknappheit, eingeschränkte Produktion und Produktauswahl – das waren fast imminent die Folgen der globalen Pandemie und Probleme, die sich nun bereits mehr als zwei Jahre strecken. Kaum entspannte sich die Situation der globalen Lieferketten, so trieben die nächsten Krisen wie die russische Invasion in die Ukraine oder ein langer Lockdown in Shanghai die Probleme auf einen neuen Höhepunkt. Die datengetriebene, adaptive Supply-Chain ist ein vielversprechender Lösungsansatz, um mittel- bis langfristig die Resilienz der angeschlagen Lieferketten wiederherzustellen und auch in Zeiten der Unsicherheit effizient und zielgerichtet zu agieren.

In den vergangenen Jahrzehnten hat die Wirtschaft stark auf globale Lieferketten „just in time“ gesetzt. Dadurch konnten deutliche Effizienzgewinne erzielt werden – insbesondere durch global gesourcte, günstigere Wareneinstandspreise und durch Abbau von Lagerbeständen. Allerdings ist dies mit hohen Lieferabhängigkeiten und der grundlegenden Anforderung eines absolut zuverlässig funktionierenden Supply-Chain-Systems verbunden. „Alles was betriebswirtschaftlich Sinn ergab, wurde rigoros umgesetzt. Doch die Unternehmen haben sich häufig nicht ausreichend mit den Risiken auseinandergesetzt und insbesondere Ausfallszenarien End-to-end durchgespielt“, sagt Lars Godzik, Supply-Chain-Experte sowie Gründer und Managing Director der Gingko Management Consulting, Teil der Eraneos Group.

Verbesserung der Datenqualität als zentrales Ziel

Diese unvorhersehbaren Dynamiken zwingen Logistiker Maßnahmen zu treffen, um zukünftig flexibler und schneller mit Veränderungen umzugehen.

Eine wesentliche Grundvoraussetzung dafür ist eine deutlich verbesserte Datenqualität. Diese ist aber nicht einfach so gegeben. „Wenn es um digitale Grundlagen geht, gibt es noch einen langen Weg zu gehen. Leider fehlt es zudem noch an internationalen Standards“, sagt Godzik. Insgesamt komme die Szenarien-Planung derzeit oft noch viel zu kurz. In manchen Fällen gibt es gar keinen Plan B oder C. „Die Risiken müssen jedoch einkalkuliert und mit Wahrscheinlichkeiten versehen werden: Was würde es zum Beispiel finanziell oder auch zeitlich kosten, wenn ein Lieferant kurzfristig ausgetauscht werden muss? Wenn man diese Kalkulationen durchführt, so kann es dann in vielen Fällen durchaus effizienter sein, wieder lokal einzukaufen, als global zu sourcen“, so Godzik. 

Im Idealzustand haben Unternehmen eine Art Supply-Chain-Cockpit, das für Godzik aus folgenden Hauptbausteinen bestehen kann:

  • Definition und Umsetzung einer ausgewogenen Supplier-Strategie
  • Abbildung der verschiedenen Wertschöpfungsschritte der Logistik von der Produktion bis hin zur Warenauslieferung
  • Anbindung an Systeme, um Realtime Daten verarbeiten zu können
  • Möglichkeiten Szenarien abbilden und antizipieren zu können.

Dieses Cockpit wäre eine sehr gute Basis für eine adaptive und damit stabile Supply Chain. Durch KI gäbe es zudem längst Möglichkeiten notwendige Entscheidungen vorzubereiten bzw. automatisiert umsetzen zu lassen. „Wenn zum Beispiel ein Produzent in Malaysia ausfällt, könnte das System bestenfalls automatisiert einen alternativen Lieferanten in Indonesien ansteuern, so dass der Ausfall gar nicht merklich wäre“, sagt Godzik.

Rudimentäre Ansätze in diese Richtung gibt es natürlich bereits. „Die global produzierende Automobilindustrie zum Beispiel versucht bei Knappheit, die Märkte präferiert zu bedienen bei denen die höchsten End-Margen erzielt werden“, weiß der Experte. Dafür werden die entsprechenden Daten entlang der gesamten Wertschöpfungskette benötigt. „Das Problem dabei ist nicht die Datenmenge per se – diese lassen sich in der heutigen Zeit gut verarbeiten. Elementar ist das Verfügbarmachen der Daten in der entsprechenden Qualität“, so Godzik.

Ein Megatrend in der Logistik

Die weitere Digitalisierung der Supply Chain ist zwingend notwendig, um zunehmende Risiken der Globalisierung bei gleichbleibender Effektivität zu gewährleisten. Eine wichtige Grundlage ist die Schaffung von globalen Standards. Hier schreiten die Entwicklungen zwar voran, aber die Erarbeitung und Einführung solcher Normen ist auf globaler Ebene eine enorme Herausforderung, da oftmals eine klare Zuständigkeit fehlt. „In der Logistik muss das aus meiner Sicht über die Verbände getragen werden. Und auch wenn es sehr viele lokale Interessen gibt, profitieren am Ende alle davon. Je mehr die Standards dann Anwendung finden, desto größer ist ihr Nutzen“, sagt Godzik. Unausweichlich ist dafür aber zweifellos eine gewisse Offenheit neuen Technologien gegenüber: „Digitalisierung wird sich einfach durchsetzen, ob wir wollen oder nicht. Die Benefits sind mannigfaltig“, sagt Godzik. „Und je mehr hier an einem Strang ziehen und in dieselbe Richtung steuern, desto schneller kann die Vision der adaptiven Supply Chain zur Realität werden.“

 

Mehr zum Experten Lars Godzik

Lars Godzik

Lars Godzik (54) ist Gründer und geschäftsführender Partner bei der international tätigen Ginkgo Management Consulting GmbH, Teil der Eraneos Group, in Hamburg und zudem Geschäftsführer der Tochtergesellschaften in China, den USA und Singapur.

Nach seinem Studium der Betriebswirtschaft in Saarbrücken, an der Keio Universität in Tokyo und der Freien Universität Berlin sammelte der gebürtige Hamburger seine ersten Berufserfahrungen im Internationalen Strategie-Bereich eines Großkonzerns. Nach Erfahrungen in der E-Commerce Start-up-Branche ist er seit mehr als 20 Jahren im internationalen Beratungsgeschäft aktiv.

Godzik ist branchenübergreifend tätig und ein ausgewiesener Experte für Digitalisierungsstrategien, sowie Anwendungen von Machine Learning und Künstlicher Intelligenz.